Aller Anfang benötigt Energie. Ganz gleichgültig, ob diese sich durch Tatendrang, Überzeugung, Lust, Faszination, Selbstverwirklichung oder Nächstenliebe ausdrückt – das Umsetzen architektonischer Ideen ist der Versuch, neue, bessere Energien zu schaffen. Doch wie gehen wir in Zeiten vor, in denen es keinen Anfang mehr gibt, in denen der Architektur die vorhandene bauliche Struktur als Blaupause dient, allumspielte Grundstücke ein enges Korsett an Verbindlichkeiten bilden, unzählige Normen die Visionen der Planenden wie auch der Nutzenden formen, die Geldgeber:innen scheinbar unverrückbare Vorstellungen haben?
In der Architektur ist aller Beginn fließend und dennoch ist es unumgänglich, diesen zu initiieren – wir nennen ihn die Phase Null.
Verwaltungen lenken durch frühes Einschreiten den Projektverlauf mit, Bürgermeister:innen nehmen sich für die Verwirklichung architektonischer Projekte berufliche Auszeiten, Behörden verstehen sich als konstruktive Gesprächspartnerin, private Bauherr:innen stellen konkrete Forderungen an herausfordernde Grundstücke, Gemeinden veranstalten akribisch Informationanlässe – in der heutigen Projektdefinition gewinnt die Partizipation an Wert. Kollektive Vorbereitung und sorgfältige Moderation werden zum A und O der architektonischen Praxis.
Es ist willkommen, dass der ZV-Bauherr:innenpreis ebendiese Auseinandersetzung in der Architektur fördert. Noch erfreulicher ist, dass dieser das gemeinsame Arbeiten in den Vordergrund rückt, um gute, bereichernde Projekte zu ermöglichen. Lob gilt den privaten wie auch öffentlichen Auftraggeberinnen und Auftraggebern gleichermaßen. Mit unbändiger Aktivität und leidenschaftlicher Bereitschaft werden etwaige Reibungen und Unstimmigkeiten überwunden, nach Übereinstimmung und Kompromissen gerungen und, wo nötig, auch Spannungen belassen.
Es ist ein wohltuendes Signal aus der zeitgenössischen Architekturpraxis, dass immer mehr Akteur:innen Gehör und Anerkennung finden. Aufrichtiges Vertrauen, aber auch projektspezifische Freiheiten werden ausgesprochen. Es werden Verantwortungen geteilt, aber ebenso multipliziert. Doch es ist genauso klar, dass in einer Architektur, die Partizipation großschreibt, Offenheit und Imagination gelebt werden müssen, die Architektur nicht als abgeschlossenes, sondern sich fortentwickelndes System verstanden wird. So bildet sich ein Möglichkeitsspielraum, der kulturell bedeutende, sozial nachhaltige und auch ökonomisch sinnvolle Architektur entstehen lässt. Das Bauen wird damit nicht bloß zu einer ästhetischen und funktionalen, sondern auch gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Der diesjährige Bauherr:innenpreis ehrt Projekte, die den Mut zu vielfältigen Akteurskonstellationen und Beteiligungen ausstrahlen und erfreut mit der thematischen Bandbreite sowie der Qualität der nominierten Bauten. Der Fokus liegt nicht ausschließlich auf den urbanen Umgebungen, sondern richtet sich gleichermaßen auf kleinere Gemeinden und weniger medial präsente Ortschaften innerhalb des Landes. Neben Zentrumsstärkungen, baulich, wie auch sozial, sind Mobilitätsdrehscheiben, Aus- und Weiterbildungsstätten, Orte der Kultur und das leistbare Wohnen baulich seriös abgehandelt.
Typologisch waren die diesjährigen Nominierungen breit gestreut. Ihr gemeinsamer Nenner: Das Um- und Weiterbauen. Die architektonischen Lösungen sind manchmal so fantastisch vielfältig wie die vorgefundene bauliche Substanz selbst: Unmittelbar angrenzende Rebreihen werden strukturell imitiert, bestehende Tennen räumlich umformuliert, gehaltvolle Gedanken des Fassadenkleides fortgeführt, traditionelle Baustoffe transformiert und Dachlandschaften neu inszeniert.
Die nominierten Projekte beweisen, dass Bauherr:innen, die sich mit ihren Projekten identifizieren, der Architektur eine große gesellschaftliche Bedeutung einzuschreiben vermögen. Und auch wenn es utopisch sein mag zu meinen, die Architektur könne alle menschlichen Probleme lösen, demonstrieren die ausgewählten Beispiele, dass gutes Bauen einen Mehrwert für die differenziertesten Aufgabenstellungen zu leisten im Stande ist. Es ist eindrücklich zu sehen, wie in Städten andere Themen prägend sind als auf dem Land und die Architektur mit Urbanität konkret andere Umgänge findet, wie mit der vernakulären Bausubstanz in ländlichen Regionen.
Wo „echte“ Bauherr:innen lauern und der Phase Null intensive Aufmerksamkeit geschenkt wird, gedeihen architektonische Qualitäten und langfristig soziale Nachhaltigkeit. Die Bereicherungen kommen dem Menschen als Individuum zugute, rücken aber auch endlich wieder das Kollektiv in die Mitte.
Überlegungen zum ZV-Bauherrenpreis 2023, zusammengefasst von Fabian Tobias Reiner nach einem Gespräch mit den Juror:innen.
Hauptjury des BHP'23
Regula Harder
Architektin bei Harder Spreyermann Architekten, Zürich und Mitglied im Gestaltungsbeirat der Stadt Bregenz
Angelika Fitz
Direktorin des Architekturzentrums, Wien
Florian Nagler
Architekt in München (Nagler Architekten) und Professor für Entwerfen an der TU München
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BAUHERR:INNENPREIS 2023
Die Nominierungen für den ZV-Bauherr:innenpreis 2023 sind fixiert. Die Nominierungsjurys in den einzelnen Bundesländern haben sich heuer für 25 Projekte aus insgesamt 110 Einreichungen entschieden. Daraus ermittelt die Hauptjury bestehend aus Angelika Fitz (Direktorin Az W – Architekturzentrum Wien), Regula Harder (Architektin, Zürich) und Florian Nagler (Architekt, München) die Bauherr:innenpreisträger:innen 2023.
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