Georunde Rindberg _ Vorarlberg
Preisträger_innen 2018
Bauherr: Gemeinde Sibratsgfäll/Konrad Stadelmann
Architektur: Innauer-Matt Architekten, Bezau
Konzeption und Idee: Super–Büro für Gestaltung, Egg
Fertigstellung: 5/2015
Dem Ereignis, das im Mai 1999 einen Berghang im vorderen Bregenzerwald ins Rutschen brachte, gingen heftige Regenfälle voraus. Zuerst seien einige Zaunpfähle plötzlich schief gestanden. „Am Anfang wusste man nicht genau, was eigentlich los war“, sagt Konrad Stadelmann, Ex-Bürgermeister und Obmann des Vereins Bewegte Natur Sibratsgfäll. Durch die stetige Verschiebung von Erdmassen rutschten auf einer Fläche von 1,8 km2 allmählich 18 Wohn- und Wirtschaftsgebäude bis zu 240 m talwärts; so auch die Kapelle, das Wahr-zeichen des Rindbergs, das nach 180 m Wanderung in sich zusammenfiel. Dank rechtzeitiger Evakuierung der Parzelle kamen keine Personen zu schaden, doch die Großrutschung hinterließ tiefe Spuren in der Landschaft und im Bewusstsein des 400-Seelen-Dorfs.
Geologische Untersuchungen ergaben, dass der Hang in bis zu 70 m Tiefe von einer Lehmschicht durchzogen wird, die ein Absorbieren des Schmelz- und Regenwassers verhindert. Wird der Druck auf die oberste Bodenschicht zu groß, gerät das Erdreich in Bewegung – ein Natur-ereignis, das sich statistisch alle 300 Jahre wiederholt. Noch heute kommt der Boden in Sibratsgfäll nicht zur Ruhe, aber die Bewohner haben gelernt, mit der bewegten Natur umzugehen. Sie haben mit dem Erinnerungspfad einen erstaunlichen Weg beschritten, ihre traumatische Geschichte zu erzählen und in etwas Positives umzudeuten. 2014 schrieb die Gemeinde einen geladenen Wettbewerb aus, den das Architekturbüro Innauer-Matt mit dem Designteam Super BfG für sich entschied. Ausgehend von „Felbers schiefem Haus“, bei dessen Betreten der konditionierte Raumsinn aus dem Gleichgewicht kippt, wurden an ausgewählten Punkten in der Landschaft acht Objekte platziert, die das Leben in der Schräge, die Kraft der Natur und die Akzeptanz der steten Veränderung sinnlich erlebbar machen. Die Stationen des Rundwegs sind als scharfkantige Installationen in Edelstahl ausgeführt, einem Material, das dem Zugriff von Zeit und Witterung standhält und keine Patina annimmt. Die Objekte, die je ein Thema verorten, zeigen körperliche Präsenz und kommen ohne intermediale Wissensvermittlung aus. Mit Titeln wie „Das gewanderte Haus“, „Schiefe Tanne“ und „Alles im Lot?“ sind die Stationen in ihrer physischen Direktheit auf Wesentliches reduziert.
Die Spuren der Hangrutschung, der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft und ihr Bemühen, sich mit den Kräften der Natur zu arrangieren, sind auf eindrückliche Weise in die abstrakten Settings eingeflossen, die sich Einheimischen wie Gästen mit der gleichen Selbstverständlichkeit erschließen. Sibratsgfäll verfügt heute über bewegliche und unbewegliche Grundgrenzen, und die neue Marienkapelle mit dem doppelten Boden kann innerhalb von 48 Stunden abgebaut und in Sicherheit gebracht werden. „Wir haben das für uns gemacht“, sagt Konrad Stadelmann, „alles andere kommt dann von selbst“. Das tut es. Selbst die seilgesicherte Tanne hat ihren Wuchs aus eigener Kraft wieder ins Lot gebracht.